Anmer­kun­gen zum Film „Free lunch society“

Seit kur­zem läuft in deut­schen Kinos der Film „Free lunch socie­ty“, in dem ein­ein­halb Stun­den lang mehr oder min­der Wer­bung für bedin­gungs­lo­ses Grund­ein­kom­men gemacht wird. Das ist ein ziem­lich ideo­lo­gi­sches Pro­dukt und in wei­ten Tei­len gera­de­zu antiaufklärerisch.

1. Zuerst das Posi­ti­ve: Der Film weist berech­tig­ter­wei­se auf eine Rei­he von ernst­haf­ten und glo­ba­len Pro­ble­men hin und for­mu­liert berech­tig­te Ansprü­che der Men­schen auf Teil­ha­be am gesell­schaft­li­chen Reich­tum – aber BGE ist kei­ne Lösung dafür. Die Kri­tik ist berech­tigt an:

- Schi­ka­nen und zu gerin­gen Leis­tun­gen für Erwerbslose

- an der immer kras­se­ren Ungleich­heit und am rent-see­king von Kon­zer­nen und Superreichen

- an der Gier und men­schen­feind­li­chen Poli­tik der rei­chen Eliten

- am Kapi­ta­lis­mus und dem stän­di­gen Klas­sen­kampf von oben gegen die Mehr­heit der Menschen.

  1. Ansons­ten aber wer­den rei­hen­wei­se Mythen und Aus­sa­gen ver­brei­tet, die einer kri­ti­schen Über­prü­fung nicht stand­hal­ten und Pro­gram­me als Grund­ein­kom­men bezeich­net, die über­haupt kei­nes sind und jeden­falls mit sozi­al ori­en­tier­ten BGE-Wunsch­vor­stel­lun­gen nichts zu tun haben. Eine ernst­haf­te Abschät­zung und Dis­kus­si­on von Bedin­gun­gen und Fol­gen unter­bleibt völlig.

- Grund­pro­blem ist eine völ­lig beschränk­te indi­vi­dua­lis­ti­sche Sicht, wie wür­de sich das auf die Ein­zel­nen aus­wir­ken, die es bekä­men, dabei sind die zen­tra­len Fra­gen und Pro­ble­me, wie das gesamt­ge­sell­schaft­lich, öko­no­misch und finan­zi­ell funk­tio­nie­ren soll, wel­che Wir­kun­gen das hier hät­te, auch wel­che sozia­len und poli­ti­schen Inter­es­sen und Kräf­te dafür und dage­gen ste­hen, und damit wel­che Model­le über­haupt rea­lis­tisch sein könn­ten und wel­che nicht.

- Ver­schie­de­ne neo­li­be­ra­le und sozi­al ori­en­tier­te Model­le wer­den mun­ter zusam­men­ge­wor­fen, meist han­delt es sich gar nicht um Model­le, die den Kri­te­ri­en eines BGE ent­spre­chen. Ein sol­ches Modell auf gesamt­ge­sell­schaft­li­cher Ebe­ne gab es nie und wird es nicht geben.

- Die Zah­lung in Alas­ka ist so gering, dass Fami­li­en mit Kin­dern in Deutsch­land mehr bekom­men, weil das Kin­der­geld für ein Kind schon höher ist. Außer­dem beruht das dar­auf, dass ein Land mit wenig Ein­woh­nern hohe Ölein­nah­men hat, was über­haupt nicht über­trag­bar ist.

- Auch das Min­co­me-Expe­ri­ment hat­te kei­ne exis­tenz­si­chern­de Höhe und die Wir­kun­gen müs­sen vor dem Hin­ter­grund betrach­tet wer­den, dass das Sozi­al­sys­tem dort viel schwä­cher war als es heu­te hier­zu­lan­de ist

- der von Nixon geplan­te fami­ly assis­tance plan war ein Ein­kom­mens­zu­schuss für arme Fami­li­en, kein BGE.

- Das Pro­jekt in Nami­bia war umge­rech­net 6 Euro im Monat, selbst für Nami­bia nicht exis­tenz­si­chernd. Den­noch wur­de es ein­ge­stellt und nie aufs gan­ze Land über­tra­gen, weil das für den Staat Nami­bia als nicht bezahl­bar erschien. Es wäre um etwa 5% des BIP gegangen.

- Bei einem ech­ten BGE von min­des­ten hier­zu­lan­de 1000 Euro im Monat für alle gin­ge es um etwa 30 Pro­zent des BIP, die zusätz­lich umver­teilt wer­den müss­ten, fast 1000 Mil­li­ar­den Euro jedes Jahr, noch mal so viel wie alle Gemein­den. Län­der und Bund jetzt zusam­men aus­ge­ben noch mal oben drauf. Ich sage nicht, dass das rech­ne­risch unmög­lich wäre, es wür­de aber Steu­er­sät­ze um die 80 Pro­zent auf alle Erwerbs­ein­kom­men ab dem ers­ten Euro erfor­dern, und das wür­den dann ein Groß­teil der Bevöl­ke­rung nicht mehr so attrak­tiv fin­den. Es wären jeden­falls extre­me Kon­trol­len gegen Schwarz­ar­beit und Steu­er­be­trug erfor­der­lich. Für die meis­ten wäre das lin­ke Tasche, rech­te Tasche, und sehr vie­le wür­den auch ver­lie­ren dabei. Nicht nur die ganz Rei­chen, davon gibt es nicht genug, die und die Kon­zer­ne hoch zu besteu­ern wür­de nicht rei­chen, selbst wenn man das durch­set­zen könnte.

- Des­halb sind auch so Modell­ver­su­che für klei­ne Bevöl­ke­rungs­grup­pen oder auf Spen­den­ba­sis für Ein­zel­ne über­haupt nicht aus­sa­ge­fä­hig, denn die ent­schei­den­den Pro­ble­me hän­gen mit der Not­wen­dig­keit zusam­men, das Geld auch rein­zu­ho­len, was da ver­teilt wird.

- Die genann­ten angeb­lich 45% des Volks­ein­kom­mens als Ren­ten, die abge­schöpft wer­den könn­ten, sind kilo­me­ter­weit über­trie­ben. Die gewal­ti­gen Umsät­ze von Finanz­trans­ak­tio­nen zu besteu­ern wäre rich­tig, aber Umsät­ze sind kei­ne Ein­kom­men, und rea­lis­ti­sche Erwar­tun­gen für Ein­nah­men einer FTT für Deutsch­land gehen bis 30 Mrd. Euro, nicht 1000 Milliarden.

- Sach­li­cher Reich­tum und öko­no­mi­scher Wert wer­den völ­lig durch­ein­an­der gewor­fen, eben­so Ver­mö­gens­be­stän­de mit jähr­li­chen Ein­kom­mens­strö­men. Das führt völ­lig in die Irre. Zur Finan­zie­rung eines BGE kön­nen nur geld­för­mi­ge Ein­kom­mens­strö­me die Grund­la­ge bie­ten, weder natür­li­cher Reich­tum noch Leis­tun­gen der Haus­ar­beit usw., weil da eben kein Ein­kom­men ent­steht, das man besteu­ern könnte.

- Dass Gewerk­schaf­ten gegen BGE wären, weil dann ihre Exis­tenz­be­rech­ti­gung in Fra­ge gestellt wür­de, ist gro­ber Unfug, dar­um geht es gar nicht, und das Argu­ment ist auf dem­sel­ben Niveau und genau­so Unfug wie die Behaup­tung wäre, wer ein BGE for­de­re sei nur zu faul zum Arbeiten.

- Die Dar­stel­lung der neo­li­ti­schen Revo­lu­ti­on, also der Seß­haft­wer­dung und Über­gang der Men­schen zu Acker­bau und Vieh­zucht, was in der Tat ver­bun­den war mit der Ent­wick­lung von Pri­vat­ei­gen­tum und Klas­sen­ge­sell­schaf­ten, als „ein Para­dies des Über­flus­ses ging zuen­de“, ist aben­teu­er­lich. Tat­säch­lich war das die Grund­la­ge der zivi­li­sa­to­ri­schen Wei­ter­ent­wick­lung der Mensch­heit, die Lebens­er­war­tung stieg erheb­lich usw.

- Die Digi­ta­li­sie­rung lässt die Arbeit nicht ver­schwin­den, in den kom­men­den Jahr­zehn­ten genau­so wenig wie in den ver­gan­ge­nen. Mar­tin Luther King wird dazu zitiert, das ist über 50 Jah­re her, diver­se Dis­kus­si­ons­hy­pes gab es schon mehr­fach, tat­säch­lich aber sind die Pro­duk­ti­vi­täts­zu­wäch­se gesamt­wirt­schaft­lich gerin­ger gewor­den und die Erwerbs­ar­beit hat immer wei­ter zuge­nom­men und ist immer wich­ti­ger gewor­den. Wo sie zurück­ging war das Fol­ge von Kri­sen und Krie­gen, nicht von Pro­duk­ti­vi­täts­sprün­gen. Das Pro­blem ist Zunah­me von pre­kä­ren, schlecht bezahl­ten und sozi­al nicht abge­si­cher­ten Arbeits­ver­hält­nis­sen, aber das ist kein tech­no­lo­gi­scher Sach­zwang, son­dern Fra­ge der sozia­len Gestal­tung und ent­spre­chen­der poli­ti­scher Kräfteverhältnisse.

- Schon gar nicht ver­schwin­det die Wert­schöp­fung durch Arbeit und die Ver­tei­lung der dabei ent­ste­hen­den Ein­kom­men auf Arbeits­ein­kom­men einer­seits, Kapi­tal­ein­kom­men ande­rer­seits. Das sind immer die pri­mä­ren Ein­kom­men, das Volks­ein­kom­men, aus dem alles, auch ein BGE, in letz­ter Instanz umver­teilt wer­den muss. Robo­ter zah­len kei­ne Steu­ern, ihre Eigen­tü­mer müss­ten. Anzu­neh­men die Lohn­quo­te wür­de so stark gesenkt, dass sie nicht mehr die zen­tra­le Ein­kom­mens­quel­le der gro­ßen Mehr­heit wäre, und die Pro­fi­te ent­spre­chend gestei­gert, um sich das dann per Maschi­nen­steu­er wie­der abneh­men zu las­sen, ist lächer­lich. Es wür­de auch öko­no­misch nicht funk­tio­nie­ren, so oder so bleibt der Kampf um die Löh­ne die pri­mä­re und ent­schei­den­de Verteilungsauseinandersetzung.

- Der Bezug zu Raum­schiff Enter­pri­se ist abwe­gig, weil dort ein Sys­tem ohne Pri­vat­ei­gen­tum, Waren­pro­duk­ti­on und Geld herrscht, eine Art High-Tech-Kom­mu­nis­mus sozu­sa­gen, woge­gen ein BGE voll­stän­dig auf der Fort­set­zung von Waren­pro­duk­ti­on, Erwerbs­ar­beit und Geld beruht. BGE wäre eine Geld­leis­tung, macht nur Sinn wenn man etwas dafür kau­fen könn­te. Alle Waren, also käuf­li­chen Güter und Diens­te, wer­den aber mit Erwerbs­ar­beit pro­du­ziert. Wer Waren kauft, kom­man­diert indi­rekt Erwerbs­ar­beit ande­rer Leu­te. BGE stellt das nicht in Fra­ge, im Gegen­teil, es wür­de dar­auf beru­hen, kon­kre­ter: auf Kapi­ta­lis­mus, und ihn in kei­ner Wei­se in Fra­ge stel­len. Dazu sind auch weit kom­ple­xe­re Ant­wor­ten erfor­der­lich, da gin­ge es eher um eine Art demo­kra­ti­schen Markt­so­zia­lis­mus zunächst mal.

- Dazu dann noch die­se kaum erträg­li­chen lan­gen Pas­sa­gen mit selbst­ver­lieb­tem Gepre­di­ge von Götz Werner.

3. Ins­ge­samt also ist der Film ein inter­es­san­tes Anschau­ungs­ob­jekt für eine kri­ti­sche Ideo­lo­gie­for­schung und in wei­ten Tei­len gera­de­zu anti­auf­klä­re­risch. Es ist eine spe­zi­el­le Art von liber­tär-uto­pi­schem Populismus.

Der Spruch „The­re is no free lunch“ – in etwa: „es gibt nichts umsonst“ – ist übri­gens nicht von Ronald Rea­gan, dem er da zuge­schrie­ben wird, son­dern erheb­lich älter. Und er wird zwar von Neo­li­be­ra­len miss­braucht zur Begrün­dung unso­zia­ler Poli­tik, aber gesamt­ge­sell­schaft­lich ist er grund­sätz­lich rich­tig. Ins­be­son­de­re auch ein BGE ist nie umsonst, son­dern muss auf­ge­bracht wer­den, letzt­lich durch Ein­kom­men aus Erwerbs­ar­beit. Im Zwei­fels­fall eben nur die der ande­ren. Das ist das Grund­pro­blem der BGE-Anhän­ge­rIn­nen, dass sie das nicht begrei­fen (wol­len): Gesamt­ge­sell­schaft­lich könn­te ein Grund­ein­kom­men nie­mals „bedin­gungs­los“ sein, son­dern es müss­ten immer öko­no­mi­sche, finan­zi­el­le und poli­ti­sche Bedin­gun­gen erfüllt sein, die man weder igno­rie­ren noch irgend­wie weg­be­schlie­ßen kann.

Ralf Krä­mer, Janu­ar 2018